Story des Monats

November 2000


 
Gene Harris

Gene Harris, Harry Putz, Walther Großrubatscher, Martin Spitzer
Harry Putz       Walther Großrubatscher       Martin Spitzer   Gene Harris


Aus mehreren Gründen gab es in der Jazzgeschichte immer wieder wirklich große Musiker, die dem breiteren Publikum weitgehend unbekannt geblieben sind - manchmal einfach deswegen, weil sie im alles beherrschenden Schatten von noch Größeren standen: der phantastische Trompeter und Sänger HENRY "RED" ALLEN etwa wurde immer von LOUIS ARMSTRONG überstrahlt.

Andere übersiedelten nach Europa. Der Klarinettist ALBERT NICHOLAS etwa, der 1972 das JAZZLAND eröffnete, ist in den USA nur wirklichen Experten ein Begriff, die meistens aber nur seinen Namen kennen, mit seinem Spiel und Stil aber nicht näher vertraut sind. Oder LEO WRIGHT, der in den späten 50-er Jahren die Band von DIZZY GILLESPIE verließ, um in Skandinavien, Deutschland und später auch in Wien seinen Wohnsitz zu nehmen - er ist den jüngeren Jazzern aus den Staaten überhaupt kein Begriff mehr, und der phantastische Stride-Pianist JOE TURNER wird permanent mit seinem Blues-shoutenden Namenskollegen verwechselt. Sogar die europäischen Aufnahmen des absoluten Jazz-Giganten SIDNEY BECHET sind "drüben" eine seltene Rarität - so mancher Musiker ist etwa von der Qualität des "Montmartre-Konzert" vollkommen überrascht.

Es gibt aber auch vereinzelte Fälle, wo Weltklassejazzer mehr oder weniger anonym geblieben sind, weil sie ihre großen Hits nicht unter ihrem eigenen Namen einspielten - das war bei GENE HARRIS (geb.:1.9.1933 in Benton Harbor, Michigan) der Fall, der in den späten 50-er Jahren mit den THREE & FOUR SOUNDS zu den Top-Acts im Jazz- und Show-Business zählte, und dessen Einspielungen Rekordziffern (für gute Musik selbstverständlich, schlechte verkauft sich natürlich noch viel besser) erzielten.

Lange Jahre wurde es dann vollkommen ruhig um Gene, er hatte Familie in Boise, Idaho, wo er auch unterrichtete, ehe ihn schließlich der große RAY BROWN in sein Trio holte. Von da an ging es mit seiner späten und überaus verdienten internationalen Karriere wieder steil aufwärts. In den späten 80-er und frühen 90-er Jahren leitete er die weltberühmte "PHILIP MORRIS SUPERBAND", in der alles was gut und teuer ist mitwirkte (unter anderen JON FADDIS, CONTE CANDOLI, SNOOKY YOUNG, BILL WATROUS, MARSHAL ROYAL, BOB COOPER, PLAS JOHNSON, HERB ELLIS, JEFF HAMILTON und RAY BROWN, und die weltumspannende Werbe-Tourneen für den Zigaretten-Konzern unternahm (was leider heutzutage bei der weltweiten Nikotin-Ablehnung auch nicht mehr möglich ist).

Sein Spiel ist sehr dem Blues verhaftet - es gibt (außer vielleicht RAY BRYANT und JUNIOR MANCE) keine Pianisten, die die spezielle und schwer zu definierende Bluesstimmung auch als modernerer Jazzpianist so perfekt treffen, was man - Gott sei Dank - auch heute noch auf einer ganzen Reihe von herausragenden CDs miterleben kann, die fast alle auf dem großartigen Concord-Label erschienen sind.

GENE HARRIS kam einigemale als Mitglied des RAY BROWN TRIO ins JAZZLAND - unvergessene Abende, die sicherlich für jeden Gast, der dabei gewesen war, zu den Höhepunkten seines Jazzer-Lebens zählen. Dann trennte sich Gene von seinem Boss, denn er wollte sein Spiel mehr nach eigenen Vorstellungen gestalten, und er ging mit seiner amerikanischen Band, dann aber auch als Solist auf Tournee.

Als ich ihn bei seinem ersten Solo-Besuch - stimmt nicht, denn er reiste immer mit seiner entzückenden Frau Jeanie - in Schwechat abholte, fragte er mich auf der Fahrt nach Wien: "Wer ist mein Drummer?"

"Ein junger Mann, namens WALTHER GROSSRUBATSCHER, den kennst Du natürlich noch nicht", antwortete ich. "Warum?"

"Nun, er wird es schwer haben", schüttelte Gene fast mitleidig sein noch immer dicht gelocktes Haupt, "denn ich habe jetzt die ganze letzte Woche in England mit MARTIN DREW, dem langjährigen Schlagzeuger von OSCAR PETERSON gejammt!"

Ich ging nicht näher auf seine Aussage ein, wir verlebten eine harmonische, swingende, groovende, jivende und kulinarisch vielseitige Woche (Gene war ein sehr begabter Esser - nach jedem Auftritt im 'landl aß er drei bis sieben "bowls of beansoup" mit sehr viel Tabasco), bei der neben dem bereits erwähnten Ganzgroßrubatscher auch noch HARRY PUTZ und MARTIN SPITZER g beteiligt waren, und bei der traurigen (wenn ein Gigant und liebenswerter Mensch wie Gene Wien verläßt, bin ich immer traurig) Fahrt nach Schwechat fragte ich ihn, was er nun zu unserem Drummer sagt.

"Nun," antwortete er kryptisch, "wir hatten beide recht: MARTIN DREW ist der bessere Drummer und Dein Walther Wieauchimmer ist der bessere Musiker!"

Ein ganz großes Kompliment für einen unserer meistbeschäftigten Schlagzeuger, der ja den uralten und auch etwas dummen Witz, daß eine traditionelle Jazzband etwa aus sechs Musikern und einem Drummer besteht, ad absurdum geführt hat.

Noch zwei herrliche Stories ereigneten sich mit Gene: 1996 saß er nach einem wie üblich opulenten Abendessen bei meiner Tilly beim Plattenhören in unserer Wohnung, als wir auf die klassischen Boogie Woogie-Pianisten zu sprechen kamen. Es stellte sich heraus, daß er noch niemals den berühmten Film "BOOGIE WOOGIE DREAM", bei dem ja unser unvergessener KARL FARKAS an der Herstellung nicht unwesentlich beteiligt war, gesehen hatte. Nach wenigen Sekunden brüllte er auf: "Hey, das sind ja zwei Pianisten, ich dachte immer es wäre nur einer. Als Kind habe ich immer versucht, diese Nummern ALLEINE nachzuspielen."

"Aber das erklärt wahrscheinlich deine irre Technik und Schnelligkeit", fügte seine Frau Jeanie hinzu.

Und dann am Abend im JAZZLAND: Pflichtgetreu und voller Freundschaft und Sympathie stellte Gene nach jedem Set seine Musikerkollegen dem Publikum vor - nur beim GROSSRUBATSCHER streikte er verständlicherweise: er stellte unseren Drummer einfach mit "Walther...... Smith" vor....

Keiner von uns - nicht ich und meine Familie und auch nicht die Musiker, die tagtäglich mit ihm auf der Bühne standen - hatten es gemerkt, aber Gene lebte und spielte schon lange mit starken Schmerzen - er litt an einem heimtückischen Nierenleiden, das er aber perfekt mit der Kunst eines großen Schauspielers kaschierte.

Eine geplante Woche in Wien im Jahre 1999 mußte er absagen, am 16. Jänner 2000 hat er uns verlassen.

Einer der ganz Großen.


© Axel Melhardt
Story