Story des Monats

November - Dezember 2008


Nebelwetter, Herbstdepressionen, es zwickt da und dort, die Welt ist nicht in Ordnung - das alles sind die Zutaten, die sich zu einer tristen und negativen Stimmung kumulieren. Dagegen muß man etwas tun - vielleicht helfen die folgenden Zeilen, diese etwas ungewöhnliche Story:
Überlebensstrategie in trüben Zeiten

EZ unterwegs EZ unterwegs


Ich habe einen Freund - ich kenne ihn seit rund 50 Jahren - einen wirklich guten Freund und da ich nicht weiß, ob es ihm recht ist, wenn ich hier über ihn schreibe, so wollen wir ihn EZ nennen.

EZ ist jetzt auf der eher unangenehmen Seite der Sechzig, und ich kenne ihn seit rund 50 Jahren. Wir sind zwar sehr gute Freunde (hoffe ich doch sehr), aber wir kleben nicht Tag für Tag aneinander - dennoch glaube ich genug zu wissen, um mir an ihm ein Beispiel zu nehmen.

EZ war lange Jahre berufstätig - er unterrichtete an einer Schule und so wie ich ihn einschätze, tat er dies mit aller Liebe und Hingabe zu der er fähig war, was man auch daran erkennt, daß hin und wieder alte Schüler im JAZZLAND auftauchen, um sich nach ihrem "Lieblings-Professor" zu erkundigen.

Knapp vor seinem 50. Geburtstag stellte man bei ihm Darmkrebs fest. Anscheinend in ziemlich akutem Stadium, denn er wurde in schulmedizinischem Sinne operiert, unterzog sich aber außerdem noch alternativen Behandlungen, die allesamt sicherlich auch nicht sehr angenehm waren.

Allmählich besserte sich sein Zustand - EZ war von dieser Geißel der Menschheit geheilt. Er ging voll Freude wieder an seine alte Wirkungsstätte, um seinen Dienst anzutreten - und man beschied ihm, er sei pensioniert, man habe seine Stelle neu besetzt, man brauche ihn nicht mehr - auf Wiedersehen.

EZ atmete tief durch und fuhr in Hinkunft als unbezahlter Snowboard-Trainer auf eigene Kosten (!!!) mit den Schul-Skikursen mit.

Ansonsten machte er das beste aus seiner erzwungenen Untätigkeit - er ging in die Berge, wanderte, kletterte, erforschte seine Heimat bis ins kleinste Detail und ging Drachenfliegen oder Paragleiten - ich kenne den Unterschied nicht so recht.

Vor einigen Jahren stürzte er ab. Er bekam in ca. 50 Meter Höhe Oberluft und krachte zu Boden.

Ich kenne die genauen Details des Unfalls nicht, denn ich glaube, er spricht nicht gerne darüber - er brach sich das Rückgrat und das Urteil lautete: "Rest des Lebens im Rollstuhl!!!"

Ein paar Wochen nach dem Unfall zeigte er mir in der Rehab, wie geschickt er schon mit dem Rollstuhl durch die Gegend fahren konnte, und er erzählte mir, daß er in der Wohnung einer seiner Töchter eine Party geben würde, denn da gibt es keine Stufen und Treppen und da könne er sich freier und besser bewegen.

Ich weiß nicht, ob es sich schon auf diesem Wiedersehens-Fest mit seinen Freunden oder ein bißchen später ereignete: jedenfalls hatten wir alle Tränen in den Augen als er uns stolz vorführte, wie er den schlechteren Fuß einen halben Zentmeter vom Boden hochheben konnte.

Jetzt sind einige Jahre vergangen und . . .

. . . EZ geht.

Er rennt nicht, er hüpft nicht, aber er kann besser Bergsteigen als viele Unverletzte und als ich ihn vor einigen Wochen abholte, da beklagte er sich bitter über Stagnation in den Oberschenkeln: "Ich kann tun was ich will, aber die Muskeln werden nicht dicker!", sagte er und stellte seine beiden Nordic-Walking-Stöcke zur Seite, um seinen Behinderten-Ausweis aus seinem Auto zu holen . . .

"Pfeif auf das Muskelwachstum," sagte ich, "Dir fällt es nicht einmal auf, aber Du gehst gerade freihändig - ohne Stöcke!!!"

Und dann gingen wir in Richtung Burg Mödling - selbstverständlich ohne ausgetretene Wege zu benutzen - wie eine Gemse kletterte er kaum sichtbare Pfade hinauf, und ich mußte mich anstrengen, ihm zu folgen.

Warum ich diese Geschichte jetzt zu Papier bringe?

Im März (Story >) dieses Jahres berichtete ich über meine Krankheit und wie gut es mir inzwischen wieder geht (es geht mir seitdem noch besser, aber das ist hier nicht so wichtig) und ich muß leider immer wieder sehen, wie manche Leute in meinem Alter (oder noch jünger, manche ein bißchen älter) verzagt und pessimistisch sind, weil nicht mehr alles so leicht und so gut geht wie vor einigen Jahren, die diffuse Zukunftsängste haben und meist vollkommen unberechtigt deprimiert sind.

Wenn man sich anschaut, welches Glück (und welch gute Ärzte) ich hatte und wie gut es meinem Freund EZ geht, den es noch viel ärger "derprackt" hat als mich, dann soll man sich vor dem Leben nicht fürchten - natürlich werden wir alle älter und alles wird mühsamer, aber solange man kann soll man das Leben genießen, denn schließlich hat man nach gängiger Überzeugung nur dieses eine!!! Man darf auf keinen Fall aufgeben - viele Menschen verzichten auf die Lebensfreude ehe sie endgültig den Löffel abgeben müssen - beißt Euch durch und freut Euch - denn tot seid ihr lange genug!

P.S.: Diese Zeilen sind vor allen Dingen denjenigen gewidmet, die vom Zahn der Zeit leicht angenagt, nicht mehr ganz so gut langlaufen, bergsteigen, basketballen und radeln können; und auch denjenigen, die vor lauter Zukunftsangst darauf vergessen, daß sie hier und heute leben und nicht dazu geschaffen und zuständig sind, sich die "Sorgen der Welt" auf ihre Schultern zu laden.


© Axel Melhardt
Story