Story des Monats

November - Dezember 2015


Die "Ganz Großen Überdrüber-Weltstars" des Jazz konnten wir uns natürlich niemals leisten – ein Armstrong, Ellington, Basie, Goodman, Oscar Peterson, Gillespie und Miles Davis wären niemals in so einem kleinen Club aufgetreten (wobei ich bei Basie berechtigte Zweifel habe – wenn er 20 Jahre jünger gewesen wäre, hätte er uns sicher besucht und sich im 'landl sehr wohl gefühlt) – aber "Ganz Große Weltstars" (also ohne "Überdrüber") haben sehr wohl ihren Weg in das alte Gemäuer unter der Ruprechtskirche gefunden:
 
Harry "Sweets" Edison
 
Harry Edison, Thomas Huber, Rudolf Hansen Harry "Sweets" Edison
"Sweets" mit Thomas Huber ts (li) und Rudolf Hansen b (mitte), April 1986 Harry "Sweets" Edison tanzt ...
 

Trotz seiner unzähligen Tourneen durch ganz Europa konnte sich der ungemein liebenswürdige ex-Basie-Trompeten-Star Harry "Sweets" Edison niemals mit den hiesigen Gebräuchen abfinden: wie in den USA verabschiedete er sich am Ende eines jeden Sets von seinem Publikum, welches in den europäischen Jazzclubs natürlich nicht – wie in den USA – das Lokal verläßt, um für den nächsten Set weiteren eintritt zahlenden Jazzfans Platz zu machen, sondern erwartungsvoll auf ein neues Programm in der nächsten Stunde wartet.

So hörten die verblüfften JAZZLAND-Gäste allabendlich zum Ende eines jeden Sets seinen an und für sich köstlichen Sermon über den "wunderbaren, unvergleichlichen, herrlichen, großartigen, stupenden, talentreichen, verblüffenden, wunderschönen, trefflichen und unübertreffbaren Harry Sweets Edison", der zwar stets amüsierte, aber in dreimaliger Ausführung einem dann eher schon auf die Nerven fiel.

Und eitel war er auch, der gute "Sweets" – in allen Lexika steht verzeichnet, daß er am 10.10.1915 in Columbus, Ohio, das Licht der Welt erblickte. Er bestritt immer diese Angaben - er sei erst 1922 geboren und 1937 als 15-jähriger zu Count Basie gekommen. Ein Harry Edison, der schon 1935 auf (seltenen) Aufnahmen des Jeter-Pillar Orchesters in Cleveland zu hören war, sei ein Namensvetter, mit dem er weder verwandt noch verschwägert sei.

Nur eigenartig, daß dieser unbekannte Harry Edison dieselben markanten Kennzeichen in seinem Stil besaß - die fast unnachahmliche Meisterschaft ein und denselben Ton so spannungsreich zu phrasieren, daß man Sweets unter Tausenden Trompetern herauskennt. Nun, es gibt seltsame Zufälle - aber daß zwei Musiker aus derselben Gegend stammen, denselben Stil und denselben Namen haben, ohne ident zu sein, ist nur schwer zu glauben.

Eine weitere nette Geschichte passierte 1975 in Nizza. Meine Tilly und ich saßen voller Ehrfurcht nach dem Festivalgeschehen in der nächtlichen Fußgänger-Zone am Tisch mit prominentesten Musikern. Eddie "Lockjaw" Davis war dabei, und auch Harry Edison, den wir eigentlich damals noch nicht richtig kannten.

Als Jaws seinen Freund aufforderte: "Pass me the salt and pepper sweets", da überhörten wir natürlich den akustisch nicht vorhandenen Beistrich. Denn Jaws sagte natürlich: "Pass me the salt and pepper, Sweets!", was dem Satz natürlich eine völlig andere Bedeutung gibt.

Bei seinem ersten Besuch im JAZZLAND setzte sich Harry zufrieden an den Musiker-Tisch und winkte ab, als ich ihm die Speisekarte reichen wollte: "No need for that – gimme a steak!" (Brauche ich nicht, gib mir ein Steak).

Dies löste in mir natürlich blankes Entsetzen aus – es gab bei uns schon damals ein (halbwegs) umfangreiches Speisenangebot – aber keine Steaks.

Als ich Sweets diese Tatsache möglichst schonend beibrachte, kam nun bei ihm blankes Entsetzen auf: "Fuck it", meinte er freundlich, "then gimme whatever shit you're eating!" (Zum Teufel, dann gib mir das Zeugs das du da ißt).

Ich vergönnte mir an diesem Tag ein "Tiroler G'röstl", Sweets nahm eine Portion dieses Erdäpfel-Zwiebel-Fleisch und Wurst-Potpourris anschließend ohne Kommentar zu sich – kein Lob, kein Tadel.

Tags darauf besorgte ich selbstverständlich ein Steak und servierte es dem sichtlich hungrigen Sweets. "Who needs a steak", kam eine gleichermaßen entsetzte wie überraschende Reaktion. "Gimme the same thing I had yesterday!" (Wer braucht ein Steak, ich will dasselbe wie gestern).

Den Rest der Woche aß er tagein tagaus ein "G'röstl", nur am letzten Tag krönte er seine Bestellung mit: "gimme a second fried egg!" (Gib mir ein zweites Spiegelei).

In seinen letzten Lebensjahren hörten dann die regelmäßigen Besuche im JAZZLAND leider auf. Harry wollte nicht mehr so viel Reisen und gastierte nur mehr bei Festivals und in hochdotierten Konzerten. "Ich bin ein alter Mann", sagte er, "und es macht keinen Sinn, wenn ich eine ganze Woche lang jeden Abend drei Sets spiele und dasselbe Geld verdiene, wenn ich bei einem Konzert auf die Bühne gehe und nach drei Liedern wieder ins Hotel gehen kann".

Sehr verständlich, aber wir waren natürlich schon sehr traurig, so einen Weltstar nicht mehr auf unserem wahnsinnigen Nudelbrett (copyright: Karl Farkas) sondern steril in einem großen (akustisch meist schauerlichen) Konzertsaal zu hören.

Sweets verstarb am 27.7.1999 in Columbus, Ohio – wir werden ihn gemeinsam mit der gesamten Jazzwelt nie vergessen.


© Axel Melhardt
Story