Story des Monats

Oktober 2004


 
EINE HARTE SCHULUNG
 
Little Brother Montgomery, Memphis Slim, Errol Garner Little Brother Montgomery
Little Brother Montgomery, Memphis Slim, Errol Garner Little Brother Montgomery in Venedig

Drei Tage nachdem ich meine TILLY kennengelernt hatte, gastierte der Bluessänger und Gitarrist EDDIE BURNS im JAZZLAND, der eigentlich nur als der Begleiter von JOHN LEE HOOKER von sich reden gemacht hatte. Das Lokal war trotzdem zum Bersten voll, denn authentischer Country-Blues war damals der Hit. Wir beide hatten alle Hände voll zu tun, um die anstürmenden Fans möglichst platzsparend an den Tischen zu verteilen und vor allen Dingen die Anfragen über Qualität und Eigenschaften von EDDIE zu beantworten.

Dann passierte irgendetwas mit der Verstärkeranlage, ich mußte auf die Bühne, löste das Problem, ein anderes tauchte auf, man verwickelte mich in ein Gespräch an der Bar, der EDDIE wollte etwas trinken, der HANS MAITNER plaudern.

Plötzlich fiel mir siedend heiß ein, daß meine neue Freundin, die liebe TILLY, die bis vor drei Tagen eine hehre Klassikpuristin gewesen war und von unserer Szene demgemäß nicht die blaßeste Ahnung hatte, draußen ganz alleine und verloren an der Kassa stand.

Ich hetzte hinaus - und blieb zwei Meter vor ihr verblüfft stehen. Mit der Routine eines jahrelang erprobten Jazzclub-Kassiers erfüllte sie die Wünsche der Gäste, gab freundlich Auskunft über die musikalischen Besonderheiten unseres Stargastes und schupfte den Laden, als hätte sie anstatt Ethnologie die Spezialbetriebswirtschaften für überquellende Jazzclubs studiert. Als ich ihr kavalierig zur Seite treten wollte, scheuchte sie mich mit einem: "Das schaffe ich schon alleine", zur Biertheke zurück. Und damit hatte sie nicht übertrieben. Der Abend wurde zu einem - überraschenderweise auch - musikalischen Erfolg, und die Kassa stimmte auf den Halbgroschen genau. Halb freiwillig war sie in das kalte Jazzwasser gesprungen und schwamm wie ein Schwan auf dem Traunsee - wo sie herkommt - durch alle Jazzwogen.

Einige Tage später - ich hatte mich kaum von der BURNS-Hektik erholt, die spurlos an ihr vorüber gegangen war - brachen wir mit dem genialen und schon ziemlich betagten LITTLE BROTHER MONTGOMERY nach Burghausen auf. Es war November, saukalt und nieselnd, die Nebel wallten, und die Fahrt versprach ungemütlich zu werden. LITTLE BROTHER saß neben mir, die "frisch g'fangte" TILLY im Fonds. Bis Purkersdorf passierte nicht viel, wenn man davon absah, daß unser Freund eingenickt war und ein kleines Wäldchen absägte.

Und dann plötzlich ein stechender Geruch. Ich kontrollierte die Handbremse, sie war nicht durchgeschmort, kurbelte die Fenster herunter, was bei dieser Kälte mörderisch war und dann erkannten wir anhand des dazugehörigen Geräusches die Herkunft des bestialischen Gestankes. Von Purkersdorf bis an die deutsche Grenze verließ jedenfalls so alle zwei Kilometer ein allerliebstes Fürzchen den schlafenden Körper unseres Bluesstars.

Wir öffneten die Fenster, froren, würgten und versuchten durch die beschlagenen Scheiben wenigstens den Schatten der Autobahnstraße nicht aus den tränenen Augen zu verlieren. Halb erstickt kamen wir schließlich leidlich lebend in Burghausen an.

Zufrieden aufseufzend erwachte LITTLE BROTHER, und ich versuchte wortreich meiner TILLY klar zu machen, wie leid mir das alles täte, und daß nicht alle Jazz- und Bluesmusiker ein so duftreiches Leben führten.

Ich glaube nicht, daß es an einem geheimnisvollen Zauberaroma lag, aber nach kaum zwei Monaten unterschied die TILLY zwischen LOUIS ARMSTRONG und HENRY "RED" ALLEN oder LESTER YOUNG und COLEMAN HAWKINS und schupft seitdem sehr wesentliche Teile des JAZZLAND-Betriebs.

Immer wieder haben wir die Freude, unsere amerikanischen Gäste mit der Wiener Küche vertraut zu machen und der, leider so früh verstorbene, Trompeter PEE WEE ERWIN kommentierte einmal ihre Kochkunst mit: "The food is really TILLYCIOUS!"


© Axel Melhardt
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