Story des Monats

März - April 2014


Kapitel 24 einer (möglichst) langen Serie .....
Axel Melhardt Axel Melhardt plaudert:

Was soll das? Auf einer Jazz-Seite eine Raucher-Story als "Story des Monats"? Nun - wie (fast) alles, was auf diesen Seiten zu lesen ist, ist auch dieses Thema Teil meines Lebens und Teil des JAZZLAND, denn dieser Keller ist zu einem Kernstück meines Lebens geworden. Hier erfährt man, daß ich im Jahre 1956 mit dem tschicken angefangen habe und bis ins Jahr 2002 gebraucht habe, um darauf zu kommen, daß es mich langsam (aber sicher) umbringen wird und warum und wie ich aufgehört habe. Und man erfährt, warum ich froh bin, das JAZZLAND jetzt rauchfrei zu haben und warum und wieso es Jazz auch ohne Tabakqualm geben kann - und gibt!!! Der Text erschien in einem prachtvollen Band "Rauchende Köpfe: 40 Porträts" - Autoren Georg Thiel & Johannes Tichy, den ich allen ans Herz lege. Und wenn auch nur ein einziger von Euch daran denkt, sich von diesem Laster (es ist eines, glaubt mir) zu befreien, dann hat das alles einen Sinn gehabt....
 
Raucherportrait Axel Melhardt
 

Die erste Zigarette habe ich auf einem Klo im Arenbergpark geraucht, da war ich so etwa sieben bis acht Jahre alt. Es war eine Austria 3, die hat fürchterlich geschmeckt. Derjenige, der sie mir angeboten hat war 2 Jahre älter als ich, der war 9 oder 10. Ich wollte es den von mir vergötterten Neunjährigen gleich tun. Es war eine Nachahmungstätersache.

Ich war damals im Arenbergpark eine interessante Persönlichkeit, denn ich hatte einen Ball. Ohne Ball war das Fußballspielen irrsinnig schwierig, und daher haben sie mich immer wieder gebeten zu kommen. Ich habe fürchterlich schlecht gespielt, denn ich war jünger und kleiner als die anderen, doch ich hatte den Ball! Daher war ich interessant und habe somit auch eine Zigarette offeriert bekommen, mit der mir meine Spielkollegen zeigen wollten wie erwachsen sie doch sind.

Ich hab meine erste Zigarette entsetzlich grauslich empfunden, bin mir aber fürchterlich erwachsen vorgekommen und habe im Laufe der Zeit meine zweite und dritte geraucht. Mit 10 oder 11 habe ich mir meine ersten Zigaretten irgendwo stibitzt, und mit 13/ 14 war ich dann süchtig. Mit 13 habe ich richtig angefangen, mit 14 war das dann schon ein beherrschender Punkt meines Lebens. Ich hab dann 46 Jahre lang geraucht, von 13 bis 59. Vor 10 Jahren habe ich Gott sei dank aufgehört, ich bin glücklich und selig.

Damals musste ich auf dem Weg zur Garage, die war 300 bis 400 Meter entfernt, dreimal stehenbleiben, dann viermal, und manchmal auch fünfmal und meine Ärztin hat gemeint, das käme vom Rauchen. Ich meinte das wäre ein Blödsinn, denn meine Lunge war ja in Ordnung, so auch die Meinung des Lungenfacharztes. Die Beine waren das Problem. Der Gefäßchirurg hat mich mit allen Tricks durchleuchtet und festgestellt, dass es mir gelungen ist mit den Füßen zu rauchen. Ich habe meine gesamten Ablagerungen, alle Giftstoffe komischerweise unterhalb des Gürtels, in meinen Beinen gehabt.

Die Aorta ist in Ordnung, die Karotis ist in Ordnung, nach oben hin ist alles perfekt, der ganze Dreck ist in die Füße gegangen. 2002 wurde ich operiert und ich bin wieder gegangen wie ein Glöckerl. Vor einem Jahr ist es mir wieder schlechter gegangen. Mein Arzt meinte, dass das der alte Dreck ist, der noch immer da ist. Also haben wir das ganze noch einmal gemacht und jetzt geht es wieder hervorragend. Gestern war ich wunderschön spazieren, bin meinem Alter entsprechend auf den Bergen herumgekraxelt, und ich bin irrsinnig dankbar, dass ich nicht mehr rauche. Es geht mir wieder hervorragend und wahrscheinlich ist in 10 bis 15 Jahren ein weiterer Eingriff notwendig, falls ich es erleben sollte – aber am Rauchen liegt es jedenfalls nicht mehr, wenn ich früher abkratze.

Das Kino hatte natürlich auch eine Vorbildwirkung. Man sieht den John Wayne rauchen, und will natürlich auch. Damals war das Rauchen vollkommen normal. Mit dreizehneinhalb Jahren bin ich mit einem gebrochenen Fuß im Bett gelegen, und meine Mutter hat mir Zigaretten ans Krankenbett gebracht, weil ich sie darum gebeten habe. Das ist heute unvorstellbar. Doch damals in den 1950er Jahren wusste niemand, wie schädlich das Rauchen ist. Die Lebenserwartung war damals kürzer, man ist gar nicht so alt geworden als dass man durchs Rauchen krepieren konnte. Man fängt an zu husten, ok. Das es den gesamten Körper kaputt macht, das hat man nicht gewusst. Oder man hat es nicht gesagt, hat es unterdrückt? Ich weiß es nicht.

Die 3er war damals die billigste und vor allem konnte man die immer auch zu fünf Stück kaufen. Damals gab es neben den Packungen ein Tableau, da konnte man von jeder Sorte 3, 5 oder 10 kaufen oder auch nur eine. Eine Austria 3 hat damals 3 Groschen gekostet, die konnte man einzeln kaufen, das war die billigste.

Das hat sich dann gewandelt, da hat mich dann ein Freund, der auch vor kurzem am Rauchen gestorben ist, mit den Camel ohne Filter fasziniert. Damals im 1956er Jahr war das eine exotische Zigarette, die hat man eigentlich nur bei Schmugglern bekommen. Ich war 13, er war 18 und er hat mir die Camel ohne gegeben, und das war dann das ganze Leben meine Zigarette. Ich habe nie etwas anderes geraucht, außer in absoluten Notfällen, wenn absolut nichts anderes da war.

Camel ohne Filter war eine Kultzigarette, das wusste ich noch nicht als ich damit angefangen habe, das habe ich erst viel später erfahren. Erfahren habe ich das, als der Jazztrompeter Warren Vaché das erste Mal in Wien war. Ich habe ihn gebeten mir Camel without filter mitzubringen. Er kam mit zwei Stangen und gab mir aber nur eine. "The second one is for me!". Er hat mir dann erzählt, dass Camel ohne DIE Jazzerzigarette wäre.

Ich komme aus einer Zeit in der es nur filterlose Zigaretten gegeben hat. Filterzigaretten sind eine neuzeitliche Erfindung. Wir haben immer gesagt: Rauchen mit Filter ist so wie vögeln mit Präservativ.

Ich habe Gott sei dank nie eine Haschisch-Zigarette geraucht, aber Camel ohne eben 46 Jahre lang, manchmal 60 Stück pro Tag. Teilweise war es so schlimm, dass ich morgens die Füße aus dem Bett gegeben habe um noch vor dem Klogang 3 Zigaretten auf nüchternen Magen zu rauchen, so stark war die Sucht.

Unangenehm war mir das Rauchen eigentlich nie, es war nur retrospektiv ein Blödsinn. Ich hab mich beim Rauchen nie schlecht gefühlt bis es dann mit den Beinen angefangen hat. Ich war nie sehr sportlich, war kein 100m-Läufer, bin normal gegangen und es hat alles funktioniert. Erst mit 59 ist es mir schlecht gegangen.

An eine Costata di Fiorentina (Anm.: ein T-Bone-Steak) in Cuneo bei Turin - das war so fantastisch gut! - werde ich mich mein Leben lang erinnern. Man erinnert sich an ein gutes Glas Bier (ich bin kein Weintrinker). Eine Zigarette verbindet man nur mit etwas anderem: Da war ich auf dem und dem Berg oben, die Gipfelzigarette, die war gut. Oder wenn ich mit meiner Frau einen besonders schönen Abend verbracht habe; die Zigarette nachher. Man verbindet das Positive am Rauchen mit einem anderen positiven Erlebnis. Daher rührt die Angst mit dem Rauchen aufzuhören. Man verbindet das gute Essen, das gute Trinken, das gute Wandern, das gute Lieben mit dem Rauchen. Das ist das was man glaubt zu vermissen, wenn man mit dem Rauchen aufhört. Es entgeht einem allerdings nicht das Erleben selbst, sondern nur die Kleinigkeit nachher. Die Kleinigkeit nachher ist das Rauchen. Hat man das einmal überwunden, dann kann man mit dem rauchen ganz leicht aufhören. Ich war wirklich schwerst süchtig. Als ich den Entschluss gefasst habe und die Überlegung angestellt habe, dass das Rauchen per se kein Vergnügen ist.

Es schmeckt einem die erste Zigarette in der Früh, ok. Da ist man so gierig, dass man der Zigarette entgegenfiebert. Die Zigarette per se schmeckt ja nicht, neutral betrachtet schmeckt sie scheußlich. Sie ist unwichtig, ja grauslich sogar. Doch man ist dennoch süchtig danach, süchtig nach dem Nikotin. Das wesentliche ist nur die Erfüllung der Gier. Die Befriedigung der Sucht ist das positive Erlebnis.

Pfeife habe ich probiert, weil ich wollte interessanter aussehen. Zum Großteil raucht man Pfeife nur deshalb, weil man sich interessant machen will. Ich war ja nicht gescheiter als alle anderen und habe mir so auch eine Pfeife zugelegt und habe geglaubt, dass das wichtig ist. Blödsinn! Scheußlich hat das geschmeckt, die Zunge hat gebrannt, das war noch grauslicher als die Zigaretten. Zigarillo war das gleiche. Da habe ich Lungenzüge gemacht, da hat es mich zerrissen.

Tabak und seine Konsumenten kann ich heute nicht mehr neutral betrachten, weil ich gerade in letzter Zeit zu viele tote Raucher erlebt habe. Johnny Winter, der mir 1956 die Camel ohne Filter gegeben hat, dem hat man jetzt das Bein abgeschnitten. Er hat dennoch nicht mit dem Rauchen aufgehört, und so musste man ihm das Bein ein weiteres Mal noch etwas weiter abschneiden. Dann ist er gestorben. Eigentlich hieß er Johann Winter, doch wer hat in den 1950er Jahren schon gerne Johann geheißen. Da wollte jeder Johnny sein.

Als wir das Rauchverbot im Jazzland einführen mussten, erklärte mir ein sehr lieber Stammgast, eine Frau, sie könne aufgrund des Rauchverbotes nicht mehr kommen. Ein ¾ Jahr später war sie am Lungenkrebs gestorben.

Ein Freund hätte dringend eine Operation gebraucht, doch man konnte ihn nicht operieren. Seine Lunge war vom Rauchen zu schwach, er hätte die Operation nicht überlebt.

Ohne die gesetzlichen Vorschriften wäre das Jazzland ein Raucherlokal geblieben. Ich hatte große Angst, dass das Publikum ausbleibt. Ein Musiklokal zu trennen ist einfach unmöglich. Das Jazzland ist mein Leben. Nachträglich betrachtet, hätte ich die Umwandlung in ein Nichtraucherlokal viel früher machen sollen. Die wirklich extremen Raucher sind zwar weggeblieben, dafür sind viele, viele, viele Nichtraucher wieder gekommen und haben gesagt "Jetzt können wir wieder kommen, wir haben die Luft im Jazzland nicht ausgehalten!" Mir ist das nicht aufgefallen, da ich ja täglich da war.

Natürlich sterben nicht alle Raucher früh. Das blödeste, was ich immer wieder höre ist, wenn jemand sagt: "Ich bin jetzt 85 und rauche mein ganzes Leben." Natürlich! Auch riskante Autofahrer überleben. Allerdings viel seltener und viel schwieriger als die anderen. Es gibt natürlich uralte Raucher, uralte Säufer und uralte Autofahrer, die permanent links auf der Autobahn fahren, doch die sind eine Rarität.

Buch-Cover Rauchende Köpfe

 

Dieser Artikel ist im Buch "Rauchende Köpfe - 40 Porträts"
von Georg Thiel und Johannes Tichy erschienen.

Mehr Informationen dazu:
Verlag Anton Pustet - pustet.at


© Axel Melhardt
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